Cyprinus caprio – ein kosmopolitischer Tausendsassa unter den Fischen

Der Karpfen am Grunde des Sees erwachte aus seiner Mittagsruhe, schob sein Maul in den weichen Schlamm und begann nach Futter zu suchen. Plötzlich zuckte das Tier zurück. Im Schlamm lag etwas Hartes, Unbekanntes. Vorsichtig stupste der Karpfen mit dem Maul dagegen, prüfte mit den empfindlichen Barteln Geschmack und Geruch. Das Tier benötigte nur wenige Sekunden, um zu begreifen, dass das Ding nicht fressbar war. Mit einem kräftigen Flossenschlag entfernte sich der Fisch und hüllte die Taucherbrille in eine Wolke aus Sediment.

Zitat aus Uwe Krüger: Frankfurter Fische, S. 32, © Emons Verlag, Bildrechte bei Andreas Hamacher.

Kampfstark, robust und geheimnisvoll … diesen Eindruck hinterlässt der Karpfen bei allen Menschen, die schon einmal direkt mit ihm zu tun hatten. Und das sind nicht wenige: Als kapitale Beute erscheint er in den Tagträumen vieler Angler und die Suche nach dem Köder aller Karpfenköder füllt die Foren der Angelportale, so dass man fast meinen könnte, das Wissen um Boilieteigmischungen, Farbmaden und Rosinen am Haar ist wichtiger als das eigentliche Fangerlebnis, das mit Mais aus der Dose genauso gut zu erreichen wäre.

Bei neureichen Geschäftsleuten schwebt er als lebendes Pendant zum roten Porsche durch den großzügig angelegten Gartenteich und seine Besitzer spiegeln sich gerne im Glanz seiner bunten Schuppen bis ein Graureiher das Ikebana-Biotop entdeckt hat und der stillen Selbstbeschau ein jähes Ende bereitet.

Als robuster Fisch verträgt er auch Sauerstoffkonzentrationen von 4 mg/l und da er bei gutem Nahrungsangebot schnell wächst, avancierte er im Mittelalter zur Lieblingsspeise von Nonnen und Mönchen während der langen Fastenzeit. Einzelne Exemplare werden bis zu 60 Jahre alt und über 40 kg schwer. Man unterscheidet vier verschiedene Zuchtformen, die sich durch ihr Schuppenkleid unterscheiden. Karpfen ohne Schuppen bezeichnet man als Lederkarpfen oder sinnigerweise als Nacktkarpfen.

Als kulinarische Ausnahmeerscheinung loben ihn die Franken in den höchsten Tönen und zugegeben – im Teigmantel gebraten und mit einem trockenen Weißwein veredelt – erreicht und übertrifft er das Geschmackserlebnis eines Lachsgerichtes aus der Tiefkühltruhe mit Leichtigkeit. Das Fleisch von Karpfen, die schlammig schmecken, ist keineswegs schlecht, sondern enthält Spuren von Geosmin, einem natürlich vorkommendem Alkohol-Derivat, der von bestimmten Blaualgen im Gewässer produziert wird. Der menschliche Geschmackssinn reagiert überaus sensibel auf Geosmin, so dass man Karpfen, die beim Gründeln die Algen aufgenommen haben, erst einige Wochen in klarem Wasser hältern muss bevor sie geschmacksneutral zubereitet werden können.

Der Karpfen bewohnt fließende und stehende Gewässer auf allen Kontinenten. Nur in Australien möchte man ihn wieder loswerden, da er nicht in die einzigartige Fauna des Inselkontinentes zu passen scheint. Australische Wissenschaftler wollen dazu genmanipulierte Karpfen aussetzen, die keine weiblichen Nachkommen produzieren können. Man erhofft sich dadurch einen Zusammenbruch der dort unerwünschten Karpfenpopulation. Was clever klingt, könnte sich zu einem ichthyologischen Desaster entwickeln, falls das so genannte “Tochterlos-Gen“ die Artschranke überwindet und auf andere Fischarten “überspringt“.